Fernweh mit Bauchweh

Vertrauenskrise nach der Pleite von Thomas Cook: Viele Touristen wollen jetzt ihr Reiseverhalten überdenken. Für Pauschalangebote könnte die Luft dadurch bald dünner werden.
APA/picturedesk.com

Nachzahlen oder heimfliegen: Das waren die Alternativen, vor die manche Touristen im Zuge der Thomas Cook Pleite gestellt wurden

Manche Kunden haben vielleicht schon ihre Sonnencreme gesucht. Der Sehbehelf mit dem gewissen Science Fiction-Touch zauberte nämlich eine griechische Insel herbei. Das angenehme Sommer-Feeling zwischendurch ermöglichte eine Datenbrille. Jenes Accessoire in 880 Reisebüros des Veranstalters bot die Chance, Urlaubsziele mittels Virtual Reality vor dem Trip zu testen. 360°-Clips als Buchungs-Motivation waren zwar eine trendige Marketingidee, aber keine Bremse für das reale Schicksal von Thomas Cook. Im September erfuhr eine verblüffte Öffentlichkeit von der Insolvenz des ältesten Touristikkonzerns der Welt. 

Offenbar konnte das Unternehmen im beinharten globalen Wettbewerb, geprägt von Preis-Eskapaden und Internet-Herausforderern, nichts mehr zulegen. Die Ursachen des Schlusspfiffs wurden ausreichend diskutiert: problematische Übernahmen, Managementfehler, Unterschätzen der Konkurrenz aus dem Netz, Vorboten des Brexit – an Spekulationen herrscht keinerlei Mangel. Für 600.000 Kunden begann jedenfalls das große Zittern. Gestrandete Urlauber, irritierte Veranstalter, finanzielle Unsicherheit, Chaos – der Traumurlaub mutierte zum veritablen Alptraum. Selbst wenn sich der mediale Staub gelegt hat, laboriert die Branche weiter an den fatalen Folgen der Mega-Pleite. Daran dürfte sich kurzfristig auch wenig ändern. Diverse Hotelketten müssen um ihre Zukunft bangen. Und auch Tourismusbetriebe, die mit dem einstigen Vorzeigeunternehmen kooperiert haben. Incoming und Outgoing sind in Österreich und anderen Ländern gleichermaßen betroffen.

Um die Auswirkungen zu spüren, müssen Mitbewerber nicht einmal direkt in den Crash verstrickt sein. Ein Desaster in dieser Größenordnung hinterlässt tiefe Spuren. Das Vertrauen in die Branche scheint generell ramponiert zu sein. Das Stimmungsbarometer steht auf Sturm.

Vertrauenskrise

Laut dem Marktforschungsinstitut Ipsos halten nur mehr 36 Prozent der Deutschen von 16 bis 75 Jahren, die in den letzten drei Jahren eine Pauschalreise unternommen haben, das Buchen bei anderen Veranstaltern für sicher. Daher wollen 21 Prozent ihren Urlaub künftig verstärkt selbst organisieren. Sieben Prozent möchten generell weniger ins Ausland verreisen. Jeder Fünfte ist verunsichert, hat aber noch keine Überlegungen zu weiteren Trips angestellt. Bei jenen, die in den letzten drei Jahren mit einer Thomas Cook-Firma unterwegs waren, ist das flaue Gefühl dann noch größer. Die Luft könnte also dünner werden für die Anbieter von kompakten Paketen. Nicht nur in Deutschland: Weltweit orten Beobachter eine Vertrauenskrise bei Touristen. Obwohl keineswegs festgeschrieben ist, dass der Kunde den Schritt von der Theorie zur Praxis vollzieht. Aber der bloße Gedanke an eine wachsende Do-it-yourself-Bewegung dürfte nicht wenigen Verantwortlichen der Reisebranche kalte Schauer bescheren. Schließlich handelt es sich um einen ebenso einträglichen wie hart umkämpften Markt, wo jede Buchung zählt. Eine Verweigerungshaltung der Masse kann schnell an die wirtschaftliche Substanz gehen. „Die Stärke und Reputation von Veranstaltern wird entscheidend sein, ob ihnen Reisende weiterhin das Vertrauen schenken“, betont Hans-Peter Drews, Senior Director von Ipsos. 

Entspannend wirken auch angenehme Nebenwirkungen der Pauschalreise. Sicherheit, wenig Aufwand und die Aussicht auf zugkräftige Preise bleiben Treiber. Wer beim zweiwöchigen Urlaub nur mehr in den Flieger steigen muss, weil bereits alles gecheckt ist, wird kaum unglücklich sein. Ausflüge in Eigenregie aber erfordern Zeit, Planung und gewisses Organisationstalent. Auch nicht unerhebliche Fragen betreffend Haftung oder Ansprechpersonen bei plötzlich auftauchenden Problemen gelten für den Konsumenten einer Pauschalreise als abgehakt. Was die Causa Thomas Cook zumindest relativiert hat. Niemand kann es Reisenden verdenken, dass nach all den Turbulenzen ein Nachdenken über weitere touristische Belange eingesetzt hat. Die Branche steht deshalb vor der Herausforderung, die mehr oder minder angeknackste Beziehung wieder zu reparieren. 

So vertrauen denn auch nicht alle Akteure auf die heilende Wirkung der Zeit, sondern ergreifen die Initiative. 

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